Zweiter Tag in Tel-Aviv und Jerusalem II.

Eli holte mich punkt 11:00 Uhr ab, denn ich wollte unbedingt Yad Vashem besuchen und das Grab von Shimon Peres. Es bietet sich an, den der Herzlberg wo die Staatsmänner auch begraben sind, es sei denn sie haben es anders gewollt. Gegen 12:00 setzt Eli mich bei Yad Vashem ab. Ich habe das Wetter überschätzt, da es evident kälter ist als erwartet. Ich muss also ständig in Bewegung bleiben. Eli hat was in Jerusalem zu tun und so gehe ich alleine in die Gedenkstätte. Wie bei Museen kann man so einen Audioguide mit Nummern bekommen. Glatte 30 Schekel. Ich musste meinen Pass hinterlassen und eine Anschrift. Nun, da ich auch endlich die Handschrift gut kann, habe ich meine Anschrift in Hebräisch geschrieben. Das schien offensichtlich den Angestellten zu beeindrucken, der dann wie so viele fragte woher ich komme. Ich hörte mit der Nummer 200 die Geschichte der Gedenkstätte als Einführung, aber irgendwann merkte ich, dass da eine Stau am Eingang entstehen wird durch drei Gruppen und so huschte ich vor sie rein. Wie soll man das nur erklären. Die Wände sind aus Beton und bilden über einem eine Art sehr hohen Spitzdach. Etwas wie ein Zelt, welches ewig lang ist. Es ist sowohl bedrückend als auch einladend. Bedrückend, dass es in die steile höhe immer enger wird, einladend, weil es auffordert weiter zu gehen.
Überall Bildschirme welche alte Aufnahmen zeigen oder alte Menschen, welche das Grauen des Holocaust überlebt haben, die davon berichten. Mich versetzt die die Sachlichkeit der Erzähler ins Staunen. Vielleicht ist es der Mechanismus, welchen Sie entwickelt haben, um diese schrecklichen Dinge zu erzählen. Ich weiß es nicht. Beim der sechsten oder siebenten Erzählung hat die Frau dann doch mit den Tränen gekämpft. Mir wurde immer dumpfer je weiter ich schaue. Welch Niedergang der Menschheit. Man kann diese Erfahrung nicht in Worte fassen. Überall Dokumente, Nachbildungen, Fotos, und Gegenstände, welche die Zeit überdauert haben. Ich denke jeder macht hier seine eigene Erfahrung. Drei Dinge werde ich wohl nie aus dem Kopf bekommen. Da war dieser Film von abgemagerten Kindern, welche am den Bürgersteigen saßen als würden sie jeden Moment tot umfallen. Der Film war so, dass man die Beine der laufenden Menschen sehen konnte, welche zweifelsohne nicht am verhungern waren. Und dann dieses Mädchen, welches weint und den Kopf des Junten (Ihr Bruder ?) schüttelt, er aber nicht reagiert. Tot, schien er. Erst nach einer Minute schütteln bewegte er leicht seinen Kopf. Ob er es überlebt hat, wage ich zu bezweifeln. Was sind das für Menschen, welch Herzen aus Stein, die das auf Beinen vorbeilaufen, um vielleicht zum Abendessen zu gehen oder zur Arbeit. Ich musste mich hinsetzen und einfach eine Pause machen.

Das zweite Bild, welches ich nicht aus dem Kopf bekomme, war dieser Bagger, welche nackte verhungerte Menschen zu Scharen in ein Massengrab schob. Man steht da und weiß nicht wie man reagieren soll. Soll ich nun wegschauen, oder staunen. Was soll ich da tun? Dann sah ich wie einer der Körper, männlich, in der Schaufel des Baggers von dem Leichenhaufen oben nach unten rollte. Sein Kopf war von mir aus rechts, und er viel auf seine linke Seite. Der Tote Körper des Mannes war nur Knochen. Doch als er vor die Leichen auf seine linke Seite viel, sah man seinen Bauch den Sturz abschwingen. Er war innerlich schon am verwesen! Endlich sind wir alle, aber so!? Ich kann das Bild nicht aus dem Kopf bekommen. Ich sagte mir, Yad Vashem sollte mitten in Berlin stehen, anstelle dieser Klötze, die nur abstrakt das Grauen darstellen.

Dann waren da die vielen Schuhe der grauenvoll hingerichteten Menschen. Wer diese wohl getragen hat. Wie sein oder ihr Leben war? Ja und da waren natürlich viele andere Dinge, die ich alle niemals erzählen werden kann und doch hinterlassen sie natürlich einen Eindruck, den man selbst erfahren muss.

Gegen Ende des Zelt-tunnels, mit Zimmer und Themen Nischen rechts und links, war ein Raum mit Abbildungen von Menschen, welche Juden von der Vernichtung retteten. Neben Schindler und anderen war da auch ein Ahmed, ich glaube aus Serbien. Ich konnte nicht alles sehen, weil die Gruppen sich ständig so nah stellten, dass man auf Zehenspitzen manchmal rechts und links zwischen den Köpfen versuchen musste zu erhaschen, worum es geht und ob man warten will bis die Gruppe weg ist oder nicht. Ich hörte den Fremdenführer Ahmed sagen und horchte auf. Er hatte mehrere Juden Unterschlupf geboten. Seine Tochter war dann zum Judentum konvertiert und irgendwie hatte er auch einen christlichen Sohn oder eine Tochter. Quintessenz war, dass der Fremdenführer versuchte das Zusammensein der Abrahamitischen Religionen in dieser Person darzustellen. Was er verpasste ist, dass da stand, dass sein Name Ahmed Sadiq war. Sadiq heißt in Arabisch „Ehrlich, Ehrbar oder Aufrichtig“. Dabei nennen die Juden die Menschen die Juden retteten Tsadiks, ein Wort welches etymologisch mit dem Arabischen Namen verwandt ist. Der ca. 65 jährige Fremdenführer der noch eine Minute am Schild mit dem Namen Ahmed Sadiq stehen blieb sprach ich an ob ihm der Name Sadiq nicht was sagt. Er hatte es tatsächlich bis dato nicht gemerkt. Ich machte ihn darauf aufmerksam. Er war sichtlich überrascht und bedankte sich. Ob es nun ein Zufall war, dass dieser Tsadik auch Sadiq hieß?

Als ich rauskam aus Yad Vashem dachte ich mir das Arial noch etwas weiter anzuschauen, aber ich merkte, dass mir die Bilder und Dokumentationen doch sehr nahegekommen sind und dass ich das erst einmal bearbeiten muss.

Ich nahm einen kostenlosen Shuttle zum Herzlberg, wo Shimon Peres bestattet ist. Das Arial ist groß und duzende junge Soldaten waren dort, so dass ich nicht genau wusste ob ich richtig oder falsch bin. Und so fragte ich mich durch. Ein junger Soldat, höchstens 18, sagte, dass er weiß wo Shimon Peres liegt, dass er mich dahin nehmen könnte. Ich müsste aber seine Chefin fragen. Eine junge Dame, sehr jung, vielleicht 20 mit Maschinengewehr, zusammen mit drei weiteren, welche versuchten diese jüngeren Soldaten zu ordnen. Ich nahm ihn bei der Hand und fragte sie einfach. Hübsch sah sie aus, doch fauchen konnte sie auch. Sie pfiff ihn zurück.

Gut, dann versuche ich es alleine. Ich ging den Hügel hoch. Da oben war ein größerer Grabstein. Vielleicht 6×6 Meter. Das kann nur Herzl sein. Davor ein englischsprachiger Fremdenführer. Ich fragte ihn einfach und er sagte mir wo ich hinsollte.

Endlich fand ich Shimon Peres. Ich hatte mir schon das Kaddisch aufs Handy gespeichert. Ein Aramäisches Gebet, welches ich schon einmal für eine Freundin sagte. Es zu sagen ist eine Mitzwa, also eine gute Tat, die ich gerne für Shimon mache und bekomme. Immerhin war er einer der weisesten Männer der modernen Geschichte. Ich habe um ihn getrauert, denn er hätte in diese Region den Frieden gebracht. So dachte ich stets.

Pünktlich holte mich Eli ab. Er zeigte mir dann noch eine Wohnung welche er gekauft hat und bot ernsthaft mir an, dass mit der Familie kommen kann und hier bleiben dürfte. Ich verzweifele weiterhin völlig an seiner Gastfreundschaft. Ich werde wohl nie es schaffen mich bei ihm angemessen zu revanchieren.

Ich hatte im Auto Schwierigkeiten zu kommunizieren. Ich war einfach zu erschöpft. Er hatte mir gesagt, dass Yad Vashem heftig sein wird, aber so? Ich kann euch nur raten, hierfür einen Tag frei zu halten. Wer ein Herz in der Brust hat und Augen im Kopf, kann hier nicht rauskommen wie er reingekommen ist.

Wir aßen dann noch ein Falafelbrötchen. Allerdings gefällt mir das Konzept. Es hat eine Weile gedauert, bis ich verstanden habe wie es hier funktioniert. Die meisten Falafelstände haben Salat und mehrere Schalen mit Soße und eingelegte Gurken etc. offen zugänglich. Wenn man ein Brötchen bestellt, kann man sein Brötchen damit aufpeppeln und auch ein paar eingelegte Gurken, Paprikas oder andere Dinge sich nehmen. Ein echt freundliches System.

In Tel-Aviv angekommen fragten mich meine AirBnB Gastgeber was ich denn gemacht hätte. Ich erzählte über Yad Vashem und Shimon Peres. Es kam ein „Uff“, mit der Betonung, dass es eine schwere Sache ist.

Ich bin dankbar gekommen zu sein und wünschte, dass unsere neue rechtsgerichteten Politiker und ihre Anhänger mal sich dies auch vornehmen. Ob sie danach immer noch ihre Parolen rufen werden, wage ich zu bezweifeln.

Erster Tag in Tel-Aviv

Ich bin in ein echt interessantes Haus gelandet. Alleine die Fliesen sind es wert hier zu sein.

Klar, es ist renovierungsbedürftig, doch mich stört das nicht. Kalt ist es hier, auch bei 30 Grad.

Zwei Hunde und eine Katze und drei Musiker, die mich alle sehr freundlich aufgenommen haben.

Ich wollte den Tag etwas ruhen und spazieren und so lief ich zum Hafen. Immerhin hatten wir hier 26 Grad. Alle Häuser am Hafen sind mit Kalkstein verklinkert oder gar daraus gebaut. Und je näher man zum Wasser kommt, desto älter und enger es wird. Die vielen Gassen mit aufsteigenden glattgelaufenen Treppen und den dazwischen errichteten Cafés haben was Bezauberndes. Man kann kaum glauben, dass nur 500 meter tiefer ins Land ein Stadttrubbel ist als wäre es der Tahrirplatz in Kairo.

Eli hat mich angerufen als ich gerade am Hafen ankam und vereinbart mich bom arabischen Haus gegen 15:00 abzuholen. Er wolle mir einiges zeigen.

Also entschied ich mich etwas zügiger zu laufen, ich bin ja noch ein paar Tage hier.

Ich kaufte mir für 15 Schekel beim Palästinenser ein Falafelbrot und ging durch den Markt und entlang den Hafen.

Ich schwöre bei allem was mir heilig ist und jemals werden kann, wäre es nicht die Kippah auf dem Kopf der alten Männer, wie sie vor ihrem Laden mit einem Kaffee Backgammon spielen, dann würde ich denken ich bin im Khan Khalili-viertel in Kairo. Ja selbst Papyrus verkaufen sie. Ich suchte ob ich eine neue Flöte entdecken kann, doch die achäbigen Kawalas waren tatsächlich nicht für Musik gedacht.

Punkt 15:00 war ich zurück und sprang in Elis Auto.

Welch Freude ihn zu sehen. Eli ist ein Energiebündel und obwohl ich ihn nur kurz kennenlernte hat er mich empfangen als wären wir 50 Jahre Brüder.

Faszinierend dieses Volk. Ich erinnerte mich an meinen Gedanken aus dem Kibbutz, dass es diese Hingabe zum Menschen ist, welches dieses Völkchen ausmacht. Allerdings als Gesamtvolk, auch die israelischen Palästinenser, zumindest die ich traf, beginnen sofort von dem Positiven im Land zu sprechen. So hat im Baklawa Laden mit Kaffee gegenüber der Inhaber mir eine halbe Stunde von den tollen und hilfsbereiten Menschen erzählt, egal ob Jude oder Muslime.

Eli nahm mich zu einer Stelle wo ich von Jafo bis ins moderne Tel Aviv am Wasser sehen kann.

Dann fuhren wir nach Modain. Sein Vater welcher in 1967 und 1973 kämpfte und nun selbst über 90 ist, wollte mich unbedingt sehen.

Nicht ganz unerwartet hat er viel über Geschichte gesprochen, dass er von den Ägyptern in Ismailiyya beeindruckt war, als sie dort einmarschierten. Dass er ein Sadat-Fan war, wie nahezu alle älteren Israelis. (Sadat hatte den yom kippur Krieg begonnen und anfangs sogar teilweise gewonnen, bis die Israelis auch einen Vorstoß machten).

Für Ägypten war es wichtig die Ehre wieder herzustellen nach den vielen Niederlagen. Die Überquerung des Suezkanals und die Rückgewinnung Teile des eroberten Sinais hat dafür gesorgt. 1979 schloss er den Frieden mit Israel und Ägypten bekam hierdurch den Rest des Sinais zurück, bis auf eine Stadt. Taba hat dann Ägypten durch ein Urteil des internationalen Gericht zurückgewonnen.

Der alte Mann wusste bestens bescheid. Und wie auch sonst, hat er auch seine Geschichte niedergeschrieben und veröffentlicht.

Er sprach sowohl Deutsch wie ein paar Brocken Arabisch. Seine Wohnung war klein und erinnerte mich an die Wohnung meiner Tante Karima aus Ägypten.

Wenn er sprach lehnte er sich etwas vor in der Couch. Zwischen den Worten machte er oft eine Pause, um dann mit seiner rechten Hand die Worte zu betonen, um dann seine Hände vor seiner Brust zu verschränken und sich wieder zirück zu lehnen.

Er sprach bedacht und mit der Autorität seiner Erfahrung und seines gefüllten Lebens. Spitz war er und machte seine Witze. In der Marine war er auch kurz. Und während seine Kompanen in Marseille die Mädels checken wollte, ging er zur Post um seiner Leidenschaft nachzugehen. Diese würde aber erst am Montag aufmachen. Das wußte er nicht und die Frau welcher er fragte sagte ständig Lundi, Lundi.

Er dachte sie beschimpft ihn. Erst auf dem Schiff habe man gelacht und ihn aufgeklärt, was die aufgebrachte Frau sagte. Er lächelte und lachte über sich selbst und sank einen Momenz zurück in seine Gedanken von einst. Kurz konnte ich ihn in jungen Jahren sehen, naiv stolz nach Briefmarken suchend. Wer sammelt heute schon Briefmarken in der Zeit bon Googlemail und WhatsApp.

Ein ganzes Kultursymbol, eine Kommunikationmethode mit eigenen Regeln und Knigge, eine Denkmalpflege, das Briefmarkensammeln; alle sind an unseren Fingerspitzen am Handy in Vergessenheit gesunken.

Ich war mit Elis Vater eins im Geiste für ein Moment. Ich hätte noch viele Momente tanken können, doch nach zwei Stunden gingen wir.

Eli stellte mich seiner Expartnerin vor, welche ihm als Mensch viel bedeutet. Noch ein gemeinsamer Nenner, meine Expartnerin ist nicht nur mir wichtig, sondern wahre Familie. Ich bin stolz auf unsere Familie und darauf, dass meine Frau dies auch so sieht und oftmals ejer an sie denkt als ich. Ich teilte dies mit meinem neuen Freund Eli und wir verstanden uns so wie Semiten unter einander es tun. Ein „Tsadeq“ will man sein, ein „Sadeq“ in Arabisch. Das ist ein Wahrhaftiger zu sein. Ein Mensch der aufrichtig ist und sich nicht bon Gier und Subjektiven Motiven alleine leiten lässt. Ein Tsadek macht das Richtige für den Willen das Richtige zu tun und nicht für die Konsequenzen die daraus folgen.

Dies ist das anzustrebende Ideal, welches man zwar oft verfehlt aber dahin strebt. Eli und ich verstehen uns ohne Erklärungen. Es ist als würde man mit einem Insider in einer Szene mit wenigen Symbolen ein ganzes System andeuten und darin handeln, während der Aussenstehende nicht weiß worum es geht. Wir aßen noch eine Kleinigkeit zusammen und natürlich wollte Eli dass ich viel esse, aber ich bin da wohl doch zu deutsch geworden und habe mich durchgesetzt nur einen kleinen Snack bestellt.

Eli + und ich frage mich immer noch woher er diese Energie bekommt – weigerte vehement meinen Vorschlag anzunehmen, mich im Zug nach Tel Aviv abzusetzen, sondern fuhr mich zurück und verabredete sich mit mir mich am nächsten Tag abzuholen, um Yad Vashem in Jerusalem zu besuchen.

Nun bin ich schon drei Nächte hier und habe so viel von den Menaczhen erlebt wie ich es beim besten Willen nie erwartet hätte.

Ich bin aufgeregt Yad Vashem zu besuchen.

Im Haus haben ich dann noch mit den dreien bis 1:30 Musik gemacht und etwas gejammt.

Keine Chance, dass ich so früh nach Jerusalem kann. Ich sendete Eli eine WhatsApp ob es nicht um 11 Uhr gehen würde anstelle von 10 Uhr. Ich war mir sicher, dass er schon schläft. Aber er war bei der allgemeinen Gesundheitskontrolle. Scheinbar kann man hier 24/7 durchweg Termine bekommen. Und so bekommt man schnell ein Termin. Erstaunlich!